Ein erheblicher Teil der beklagenswerten gesellschaftlichen Spaltung in Deutschland resultiert sicher aus einem Phänomen, das man “konditionierte Diskursverweigerung” nennen könnte: Der Weigerung, sich mit anderen Meinungen gar nicht erst auseinanderzusetzen, weil man sie als Zumutung, persönliche Beleidigung und Affront betrachtet. Es begann unter Merkel etwa in Zeiten der Flüchtlingskrise, mit Aufkommen der AfD: Seither hat ein raffiniertes, subtiles Framing stillschweigend eine Moralisierung von Politik propagiert in die “gute”, “richtige” Weltanschauung und die “falsche”, wobei letztere wahlweise als Feinde (“rechtsextrem”, “hassrednerisch”, “menschenverachtend”) bekämpft oder als bedauernswerte Verirrte, falsch Abgebogene, Schwurbler und Spinner bedauert werden, die “unseriösen Quellen” im Internet vertrauten. Umgekehrt haben viele Oppositionelle aus Trotz oder spiegelbildlicher Intoleranz ihrerseits dem “System” jegliche Gefolgschaft aufgekündigt und sehen die eigentlichen Verirrten und falsch Abgebogenen unter den Anhängern von Mainstream und Mehrheitsgesellschaft.

Unter Corona hat sich diese Spaltung nochmals potenziert. Ironischerweise wird diese ausgerechnet von den einst progressiven, vermeintlich “toleranten” und (wie sich zeigt, nur scheinbar) für diktatorische und totalitäre Fehlentwicklung frühsensibilisierten Linken und Grünalternativen mit einem besonders jakobinischen Eifer aufrechterhalten.

Kein demokratischer Widerstreit mehr

Seither bestimmt nicht mehr der – demokratisch eigentlich unerlässliche – Widerstreit von Standpunkten und Lösungsansätzen das gesellschaftliche Miteinander, sondern der heilige Zorn der (Selbst-)Gerechten und Angst der Andersdenkenden vor den Folgen “problematischer” Meinungsäußerungen – und die inquisitorische Verfolgung all jener, die diese Meinungsäußerungen dennoch wagen. Die Folgend dieser “neuen Mauer” quer durch Deutschland, dieser verhängnisvollen Polarisierung und Ablehnungsspirale sollte man nicht unterschätzen. Wen sich nur noch ein Teil der Bevölkerung, die breite Masse, für legitimiert und berufen fühlt, die großen Narrative, Staatsziele und politischen Machenschaften “seriös” zu kommentieren, während von den anderen angeblich nur “Desinformation” und “Delegitimierung” käme, ist dies wieder einmal das Ende jedes demokratischen Diskurses auf deutschem Boden. An diesem Punkt sind wir längst.

Natürlich ist es nicht so, dass es Gesellschaftskontroversen nicht auch schon früher gegeben hätte. Im Gegenteil: Inhaltlich war die Systemdebatte früher, zu Zeiten des Kalten Krieges, noch viel tiefgreifender. Und doch gab es damals einen Grundrespekt für die andere Seite, die jeweils subjektiv zwar für falsch erachtet, aber doch respektiert wurde. Wer sich die Wortgefechte zwischen Wehner und Strauß oder auch die Fernsehdebatten zwischen Schmidt und Kohl und später auch Petra Kelly ansah, der spürte dies. Den politischen Gegner als kriminell oder geisteskrank zu verfemen, wäre in der alten Bundesrepublik schon deshalb niemandem in den Sinn gekommen, weil exakt dies exakt die Methoden der sozialistischen Diktaturen à la DDR waren. Heute, nach 16 Jahren Kanzlerschaft einer in eben dieser DDR sozialisierten einstigen FDJ-Propagandistin, sind diese Methoden bei uns adaptiert und zu neuen Ehren gebracht worden.

Fehlen höherer nationaler Gemeinsamkeiten

Und so gibt es wieder einen extremen Vernichtungswille gegenüber all jenen, die nicht die Staats- und Regierungsziele teilen und die den zulässigen Korridor des Sag- und Denkbaren  verlassen. Diese Form von Empörungs-Architektur generiert Ablehnung allenthalben, wohlgemerkt ohne sich zuvor mit der Argumentationslinie des Gegners überhaupt auseinanderzusetzen; das wäre ja auch viel zu mühsam, gerade in einer überkomplexen und informationsüberfluteten Welt, wo Versimpelung und Schwarzweißdenken für viele eine Segen sind. Die gnadenlose Wut, die selbst einen sanftmütigen Sitzpinkler mit Männerdutt erfasst, wenn er Dinge hört oder liest, die er nicht mag oder versteht, ist beängstigend: Wo früher noch die Kraft des besseren Argumentes zählte, ist heute nahezu alles dem kruden (Zeit-)Geist der woken Ideologie unterworfen. Und letztere hat bekanntlich immer Recht.

Das mag auch darin begründet liegen, dass es im heutigen Deutschland nahezu keine identifikationsstiftende, identitäre, kulturelle oder republikanische Basis gibt, keine jahrhundertalte geschätzte Tradition, auf die sich mit stolz zurückblicken ließe wie etwa bei den Engländern, Schweden oder Dänen mit ihren Monarchien. Die vom Trauma zur Neurose mutierte NS-Vergangenheit wirkt nach drei Generationen stärker denn je und liefert nicht nur stetige Munition zur Verunglimpfung politischer Gegner (um den Preis der Verharmlosung und Geschichtsklitterung), sondern hat auch eine Lust an der nationalen Selbstzerstörung generiert. So leben wir heute in einer geschichtslosen, dafür umso lauteren und “bunteren” Ellbogengesellschaft, die allerdings nicht mehr um Leistung streitet, sondern in der jeder gegen jeden zu kämpfen scheint und wo Minderheiten, Randgruppen und Freaks nur um ihrer selbst willen glorifiziert werden. Dies ganz im Sinne der neuen Obrigkeit übrigens: “Teile und herrsche” ist die Devise, die schon seit der Römerzeit funktioniert. Man greift lieber seinesgleichen an und duckt sich vor einem übergriffigen Staat und seinen Repressalien dezent weg. Eine neue Wortschöpfung dieser Tage, der “Meldeheld”, legt beredtes Zeugnis davon ab; “Horch & Guck” ist wieder hochaktiv in Deutschland.

Vom Wahn besessen, alles besser zu wissen

Dazu passt die totale Diskursunfähigkeit, die vor allem in den sozialen Medien zu sehen ist, vornehmlich bei Facebook und Twitter: Hier giften sich die User oft schon nach wenigen Kommentaren derart an, dass man meinen könnte, es hätte hierzulande nach 1945 nie so etwas wie Streitkultur, gegenseitige Wertschätzung, Grundtoleranz oder gar Bereitschaft zur Selbstkritik und -reflexion gegeben. Und sogar der Straßenverkehr wird zum Spiegel der Gesellschaft: Auch hier ist der Umgang miteinander zunehmend von aggressiven Verhaltenswesen geprägt. Großstädtische Radfahrer fühlen sich sowieso allen anderen moralisch überlegen, “Klimakleber” schikanieren Autofahrer, nicht selten unter wohlwollender Duldung von ganz oben, und es wird zwischen “asozialen”, weil “klimaschädlichen” Marken und Motortypen und “nachhaltigen“, geduldeten unterschieden.   Überall ist der linksaktivistische Kulturkampf entbrannt, auch wenn er von so manchem noch immer nicht als ein solcher erkannt wird.

Exakt hier schließt sich nun der Kreis – und die Fronten verhärten sich von Tag zu Tag mehr. Nie im Leben etwa würde ein grünprogressiver Mensch einen Artikel aus einem konservativ-liberalen Blog lesen, geschweige denn teilen. Selbst dann nicht, wenn dessen Thesen auf wissenschaftlich begründbarer und der Logik folgenden Empirie basieren. Mit dem, was da steht, würde er sich allenfalls dann beschäftigen, wenn auch die von ihm für vertrauenswürdig betrachteten, “seriösen” Journalisten und Experten seines Vertrauens (beziehungsweise der Regierung) plötzlich das einräumen, was in Wahrheit seit langem bekannt war.

In die Schwurbeltonne getreten

Kein Wunder: Argumente, objektive Fakten (die wohlgemerkt jeder, der sich kritisch die Mühe dazu macht, selbst recherchieren könnte) und inhaltliche Stringenz sind zwischenzeitlich vollkommen gleichgültig. Das zeigt sich nicht nur bei der kritischen Analyse von Klimaprognosen oder beim Umgang mit Impfschäden und -opfern, sondern allenthalben: Wenn die sogenannten “äußeren Umstände” oder auch bloß die äußere Form der Kritik und das publizierende Medium nicht genehm sind, werden Studien, wertvolle Texte und Dokumentationen einfach ignoriert und in die Schwurbeltonne getreten.

Es ist eine zutiefst antiliberale und antidemokratische Entwicklung. Wenn Argumente nicht mehr zählen, sondern Dogmen an ihre Stelle treten, ist höchste Gefahr in Verzug. Worauf wir uns zubewegen, ist ein neuer totalitärer oder zumindest linksautoritärer Staat, in dem es keine Debatte mehr geben darf. Verfassung und Demokratie wurden von denen ausgehöhlt und verbogen, die sie zu schützen vorgeben; Haldenwang lässt grüßen! Die Ideologie hat Deutschland im Würgegriff – und mehr ideologische Besessenheit, Unvernunft, systematische Enteignung, Spaltung und Selbstzerstörungswut wider Geist, Natur, ökonomische Rationalität und Normalempfinden eines Volkes wurden hierzulande noch nie binnen so kurzer Zeit ausgerollt. Das muss uns erst einmal jemand nachmachen.

Quelle: https://ansage.org/gesellschaftsproblem-ich-rede-nicht-mit-andersdenkenden/