Die Journalistinnen Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus haben ein Buch geschrieben, das provozieren soll: «Alte weise Männer». Warum? Was treibt die beiden an?

(t-online-Interview)

Sie sind beide Frauen Anfang 30 und lassen sich in Ihrem Buch von alten Männern die Welt erklären. Haben Sie das überhaupt nötig?

Nena Brockhaus: Das täte unserer Generation insgesamt ganz gut. Gerade als Journalistin erlebe ich in meiner Branche Gleichaltrige, die noch nie einen Arbeitsplatz für jemand anderen geschaffen haben, die kein bahnbrechendes Patent erfunden haben, die keine Verantwortung für Kinder tragen, aber mit größter Selbstgewissheit ihre zumeist linke Weltsicht verbreiten. Unser Buch ist Ausdruck von Demut und zugleich eine Provokation.

Franca Lehfeldt: Das Grundanliegen der Frauenbewegung unterstützen wir. Aus der Frauenbewegung ist aber Identitätspolitik geworden, die ein Feindbild brauchte – den «alten weißen Mann». Es ist eben leichter, sich gegen etwas zu definieren als eigene Werte zu setzen. Wir wollen mit dem Buch ein Zeichen setzen, dass innere Überzeugungen nichts mit dem Alter oder Geschlecht zu tun haben. Daher haben wir dieses Feindbild für unser Buch umdefiniert und mit «alten weisen Männern» gesprochen: Die sind mindestens 70 Jahre alt, haben Erfahrung, ein festes Wertesystem und bekennen sich zum Leistungsprinzip.

Aber der «alte weiße Mann» ist doch weniger ein Feindbild als ein Begriff, der – natürlich plakativ – immer noch herrschende Machtverhältnisse beschreibt.

Brockhaus: Bildlich gesprochen denkt man, wenn man manche Debatten dazu hört: Da sitzen also Männer in den Chefetagen, die die Tür zuhalten. Das ist doch absurd. Natürlich gibt es viele einflussreiche Männer. Man muss doch fragen, warum sind die da? Und was tun die?

Lehfeldt: Ich fürchte sogar, dass manche Führungskraft heute mit Diversity davon ablenken will, dass ihre Zahlen ansonsten nicht stimmen. Diversity ist ein wichtiges Ziel, aber doch nicht wichtiger als Leistung.

 Der Gegenwind könnte auch daran liegen, dass Sie eben nicht nur am Individuum entlang argumentieren. Eine Ihrer Hauptthesen ist schließlich, dass der «alte weiße Mann» die «Personifizierung von Tugenden wie Leistungswille, Opferbereitschaft, Pflichterfüllung und Disziplin» sei. Dabei erledigen Frauen den Hauptteil der Sorgearbeit, oft mit doppelter Belastung, weil sie auch berufstätig sind – und zu schlechterer Bezahlung. Ist Ihre Ausgangsthese nicht ein Schlag in die Gesichter des eigenen Geschlechts?

Brockhaus: Überhaupt nicht, denn Ihre Frage ist ja ein rhetorischer Trick. Nur weil wir bestimmten Männern Eigenschaften zuschreiben, sprechen wir den Frauen ja nichts ab. Alte weiße Männer aber sind für die Twitter-Trends ein gern genommenes Feindbild – alleinerziehende Mütter nicht. Und uns geht es darum, der Debatte einen Spiegel vorzuhalten.

Den rhetorischen Trick wenden allerdings Sie gerade an. Denn es geht in Ihrer Definition ja nicht um bestimmte Männer, sondern den «alten weißen Mann» an sich – und eine «Personifizierung» sagt eben: Der steht mehr als andere für diese Tugenden.

Lehfeldt: Diejenigen, die den alten weißen Mann zu einer Kategorie gemacht haben, haben ihm doch Eigenschaften zugewiesen? Wir weisen nur darauf hin, dass man diese Männer auch grundsätzlich anders sehen kann.

Woran genau machen Sie fest, dass der «alte weiße Mann» ein Feindbild der Gesellschaft ist?

Lehfeldt: Man muss unterscheiden zwischen medialen Debatten und der Bevölkerung in der Breite. In vielen Medien herrscht Gendersprache, die weit überwiegende Mehrheit des Landes lehnt das ab. Unterschiede bei der Bezahlung, die sich nicht erklären lassen, lehnt jeder ab, der bei Trost ist. Aber auf Events für Frauen-Empowerment dient immer der Mann als Feindbild, nach dem Motto: Wir müssen uns gegen den Mann verbrüdern, der Mann hat uns aufgehalten, Männer sind besonders rücksichtslos. Diese Beobachtung ist verdammt bequem, aber falsch.

Brockhaus: Zumal man gerade nicht sagen kann, dass Frauen automatisch Frauen fördern. Ich selbst bin von männlichen Vorgesetzten gefördert worden. Unter Kolleginnen werden die Ellbogen besonders gerne nach Bussi und Lächeln eingesetzt. Und nun werden die letzten Männerclubs für Frauen geöffnet, aber im selben Moment entstehen Veranstaltungen exklusiv nur für Frauen.

 Würden Sie sich selbst als Feministinnen bezeichnen?

Lehfeldt: Ich bezeichne mich als Individualistin, nicht als Feministin. Mir ist gleich, welches Geschlecht, Alter oder Hautfarbe jemand hat. Es geht um die Werte, die er oder sie lebt.

Brockhaus: Ich würde sagen, dass ich eine der größten Feministinnen überhaupt bin in diesem Land. Ich bin feministisch erzogen worden, ich habe mehr Bücher von Alice Schwarzer gelesen als alle anderen. Deswegen macht mich der aktuelle Feminismus so traurig. Man postet lieber «Ich bin Feministin» auf Instagram, als Artikel über niedrige Renten von Frauen zu schreiben, als über soziale Herkunft zu sprechen. Ich kann das verstehen, das ist sexier. Aber es geht an den wahren Problemen vorbei. Der rosagefärbte Lifestyle-Feminismus schadet dem Feminismus.

Aber dieser, wie Sie ihn nennen, «Lifestyle-Feminismus» ist doch nur eine kleine Facette des aktuellen Feminismus. Es gibt doch ebenso den Teil, der für gerechtere Gehälter, für volle Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern auf allen Ebenen kämpft, vielleicht stärker als je zuvor.

Lehfeldt: Mit diesem Feminismus sympathisieren wir. Es geht uns darum, das Entweder-Oder zu überwinden, kleine Mädchen und Jungs gleich zu fördern, Karrieren auf Leistung zu gründen und den Blick auf die Individuen zu richten. Natürlich bin ich leidenschaftlich gerne eine Frau. Aber Frau sein ist eben nur ein Merkmal meiner Persönlichkeit, deshalb möchte ich auch nicht nur als Teil des Kollektivs Frau gesehen werden.

Welchen Ratschlag nehmen Sie von Ihren Gesprächspartnern mit für Ihr eigenes Leben?

Lehfeldt: Konzentriere dich auf dich selbst, kümmere dich nicht um das Gerede von anderen hinter deinem Rücken. Wolfgang Reitzle erzählt das sehr schön, wie es ihm geholfen hat, bei sich selbst zu bleiben, geradlinig zu sein und seine Ziele weiterzuverfolgen – egal, was andere um ihn herum tuschelten.

Brockhaus: Mario Adorf sagte mir: Arbeite im Hier und Jetzt, erledige den Job, den du gerade hast, mit vollem Engagement – und denke nicht schon an den nächsten Job, an die nächsten fünf Jahre.

Quelle: https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_100141728/franca-lehfeldt-natuerlich-bin-ich-leidenschaftlich-gerne-frau-.html