
Almas Aubekerov
Politologe, Magister der Sozialwissenschaften
Astanas „spirituelle Diplomatie“ wird erwachsen
Zum Anfang des Themas
Am 17.–18. September hat Astana den VIII. Kongress der Führer der Welt- und traditionellen Religionen ausgerichtet – ein Forum, das Kasachstan vor zwei Jahrzehnten initiiert hat, um den interreligiösen Dialog in Zeiten wachsender geopolitischer Spannungen lebendig zu halten. Die Eröffnungsbotschaft von Präsident Kassym-Schomart Tokajew war eindeutig: Wenn klassische Mechanismen der Entspannung ins Stocken geraten, können Anziehungskraft des Dialogs und moralische Autorität den Raum für Frieden dennoch erweitern. Der Kongress arbeitet inzwischen auf Grundlage einer Entwicklungskonzeption 2023–2033, und seine Abschlusserklärungen werden als offizielle Dokumente der UN-Generalversammlung verbreitet – ein ungewöhnlich hoher Grad multilateraler Anerkennung für eine Plattform außerhalb des UN-Systems.
Vom Symbol zur Institution
Zwei Konstruktionsprinzipien zeigen, dass der Kongress über Symbolik hinausgewachsen ist. Erstens setzt das Sekretariat einen langfristigen „2033-Fahrplan“ um, der Nachverfolgung früherer Erklärungen und engere Partnerschaften mit internationalen Organisationen priorisiert – das, was Tokajew „spirituelle Diplomatie“ nennt. Zweitens wird die Praxis fortgeführt, die Ergebnisse an die Generalversammlung zu übermitteln, damit Botschaften aus Astana nicht nach dem Foto-Termin verpuffen. Das diesjährige Timing mit dem Auftakt der 80. UN-GV in New York verstärkt die Hebelwirkung zusätzlich.
Drei inhaltliche Schwerpunkte
1) Schutz heiliger Stätten. Am Vorabend des Kongresses organisierten Kasachstan und die UN-Allianz der Zivilisationen (UNAOC) eine Sondersitzung zum Schutz religiöser Objekte – eine konkrete Brücke zwischen religiösen Autoritäten, Staaten und multilateralen Akteuren. Die Botschaft ist universell: Heiligtümer müssen Heiligtümer bleiben, nicht Ziele. Das Thema ist in Kasachstan anschlussfähig: Das Land pflegt ein pluralistisches religiöses Erbe – vom UNESCO-geschützten Mausoleum des Chodscha Ahmed Yassawi bis zu Synagogen und Kirchen – und will diese Ethik in internationale Normen übersetzen.
2) Klima und soziale Verwundbarkeit als moralische Imperative. Der Kongress rahmt Klimapolitik nicht nur wissenschaftlich und ökonomisch, sondern ethisch – Verantwortung gegenüber den Verletzlichen. Multilateral ist das greifbar: Die UN-GV hat das Regionale SDG-Zentrum für Zentralasien und Afghanistan in Almaty etabliert. Es soll Koordination zu Armut, Ökologie und Migration in einer sensiblen Makroregion vorantreiben.
3) Ethik im Zeitalter der KI. Tokajew schlug eine interreligiöse Kommission für die Ethik der Künstlichen Intelligenz vor, die universale Prinzipien – „Gebote für Algorithmen“ – formuliert: Menschenwürde, Nichtdiskriminierung, menschliche Aufsicht bei existenziellen Entscheidungen. In einem Regulierungsumfeld, in dem EU, USA und andere ihre Ansätze noch justieren, zielt Astanas Vorschlag darauf, moralische Klarheit und interkulturelle Legitimität in die Debatte zu bringen – indem Glaubensführer, Ingenieur:innen und Politik gemeinsam arbeiten.
Multilateral angelegt – von Anfang an
Astana bettet den Kongress bewusst in eine breitere Architektur ein: die UN-Generalversammlung für Sichtbarkeit und Archivwirkung; die UNAOC für programmatische Partnerschaften; und ein Netz regionaler Formate (CICA, OSZE, OIC, SOZ, GUS, ASEAN, Arabische Liga), in denen Ideen in Praxis überführt werden können. Das ist keine Kulisse, sondern die Art, wie kleinere und mittlere Staaten „Convening Power“ in politische Traktion verwandeln: indem Vorschläge mehrere institutionelle „Heimaten“ über Regionen hinweg erhalten.
Warum das jetzt zählt
Die Agenda des Kongresses – Schutz heiliger Stätten, Klimagerechtigkeit, KI-Ethik – spiegelt heutige Bruchlinien: Identität, Ungleichheit, Technologie. Da hybride Kriege Frontlinien verwischen und Sanktionsregime Volkswirtschaften fragmentieren, können „Soft-Law“-Standards und moralische Überzeugungskraft dorthin vordringen, wo harte Sicherheitsabkommen scheitern. Die Bewährungsprobe besteht darin, ob Astanas Initiativen zu dauerhaften Mechanismen werden:
- UN-GV-Verbreitung der Abschlusserklärung des Kongresses;
- eine UNAOC-gestützte Koalition zum Schutz religiöser Stätten mit rechtlichen und technischen Werkzeugen für Staaten;
- ein Arbeitsprogramm „Glaube und Klima“, das religiöse Netzwerke mit Finanzierung und Anpassungszielen verbindet;
- sowie die vorgeschlagene Interreligiöse KI-Ethik-Kommission, deren Referenzkodex von Regulierern und Forschungslabors zitiert werden kann.
Das diplomatische Signal
Für Partner ist die Botschaft zweifach: Erstens investiert Kasachstan in globale Gemeingüter – es hostet Plattformen, an denen Gegner weiterhin an einem Tisch sitzen. Zweitens exportiert es Normen statt Blöcke: Schutz von Gebetsorten, Klimasolidarität und Leitplanken für Zukunftstechnologien. Das deckt sich mit dem UN-Schwerpunkt auf Prävention, Resilienz und menschenzentrierte Tech-Governance – und erklärt, warum UNAOC, der Heilige Stuhl und andere dieses Jahr besonders engagiert waren.
Eine nüchterne Schlussfolgerung
Astana behauptet nicht, der Kongress werde Kriege beenden. Aber indem er von Statements zu Strukturen übergeht – und sie in UN-Prozesse einbettet –, macht Kasachstan interreligiösen Dialog schwerer zu ignorieren und leichter umzusetzen. In einer Phase wachsender geopolitischer Gräben ist das ein bescheidener, aber substanzieller Beitrag zur internationalen Ordnung.









